Dienstag, 16. Juni 2009

Sehr geehrter Herr Erwin Kessler

Ich bezeichne mich als Tierfreund, jedoch nicht als Freund Ihres Vereins, des VGT, was ausgeschrieben, wohl bewusst heimelig holperig, "Verein Gegen Tierfabriken" heisst. Denn ich esse Fleisch. Mehrmals wöchentlich. Manchmal auch mit Sauce.
Netterweise informiert mich Ihre Organisation einmal jährlich ungefragt über den Stand der Dinge in Sachen schweizerischer Nutztierhaltung, wobei jeweils auf beeindruckend stilsichere Art und Weise der schmale Grat zwischen nüchterner Berichterstattung und hetzerischem Sensationsjournalismus überschritten wird. Todesmutig brechen Ihre Stallpaparazzis nicht selten bei Nacht und Nebel in nationale Viehbetriebe ein und machen verschwommene Fotos, als wäre eine Kuh die organische Antwort auf eine fliegende Untertasse. Dabei würde mich viel eher interessieren, wie es denn den beiden Veganerkatzen aus der März-Ausgabe ergangen ist! Seit besagtem Artikel springen mir nämlich verdächtig viele Katzen mit unverkennbar suizidalen Absichten vor die Kühlerhaube, anscheinend haben sich einige Stubentiegerhalter von dem Artikel inspirieren lassen. Sie verstehen sicher, dass ich in Anbetracht dieser Ereignisse besorgt bin, obwohl ich, meinem fahrerischen Können sei Dank, bisher immer kunstvoll ausweichen konnte. Trotzdem bin ich für jedes mir zugestellte Exemplar der "VGT-Nachrichten" dankbar, eine ähnlich vereinfachte und klare Sicht der Dinge wird einem sonst nur in Zeitschriften wie dem "Wachturm" vermittelt.
Wie dem auch sei, ich hatte Ihren Verein schon fast vergessen, als ich heute, während der Autofahrt ins Büro, Ihren aktuellen VGT-Werbespot auf "Radio Basel 1"in den Gehörgang gelöffelt bekam. Darin wurde ich mal wieder aufgeklärt, dass Fleischfresser böse sind und unser Bundesrat unfähig. Die hiesige Regierung ist ja, genau wie die Juden, ein beliebtes Feindbild von Ihnen, Herr Kessler. Auch das Schweizer Fernsehen kommt auf Ihrer Website nie gut weg, jedoch nicht wegen des schlechten Programms, sondern wegen angeblicher Botox-Behandlungen der Moderatorenriege. Herr Kessler, wenn die getünchten Gesichtsfalten von Frau Katja Stauber das einzige Problem unseres Fernsehsenders wären, würde ich der Billag die doppelten Gebühren bezahlen! Weiter informierte mich die betont seriös herumnäselnde Stimme, dass die einzige Lösung gegen Tierfabriken wäre, weniger Fleisch zu essen - die Lösung liege im Vegetarismus! An dieser Stelle verwirrten Sie mich nun vollends, Herr Kessler, weshalb ich der gerade auf die Strasse gesprungenen Katze nur noch in letzter Sekunde ausweichen konnte. Schliesslich ist "weniger Fleisch" nicht gleich "kein Fleisch", was das erfolgreiche Praktizieren von Vegetarismus ja voraussetzt. Während die schläferige Stimme also die letzten Propagandasätze in den Äther hustete, fasste ich mir ans Herz und kam zu folgendem Schluss: Wenn sich Vegetarier so anhören wie in Ihrem Werbespot, dann will ich weiterhin mit Freuden mehrmals wöchentlich meine Fleischration verpeisen. Mit Sauce.
Herzlichst,
Ihr Mischa Baehler

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen